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"Du wirst nicht als romantische Option wahrgenommen", sagte Musa Okwonga


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Berlin-Musa Okwongas neues Buch beginnt mit einem Schlag in die Magengrube. „Sooner or later, Berlin will punch you in the stomach“, heißt es da, also: „Früher oder später wird dir Berlin einen Magenhaken verpassen.“ Das sollte man auf keinen Fall persönlich nehmen, erklärt Okwonga. Vielmehr sei so ein Schlag „wie ein Pass-Stempel zu betrachten, als Zeichen des endgültigen Angekommenseins“.

Okwonga, britisch-ugandischer Schriftsteller und Musiker, lebt mittlerweile seit über sechs Jahren in der deutschen Hauptstadt. Und er hat viele solcher Hiebe hinter sich. Über sie schreibt er in „In The End, It Was All About Love“, noch ohne deutsche Übersetzung, eine Art Handlungsanweisung für das Leben in Berlin, das hiesige Daten und Erwachsenwerden. Es geht auch um Rassismus, um Vergangenheits- und Traumabewältigung. Nach der Fußball-WM 2014 – Okwonga schreibt und spricht oft über Fußball – brauchte er einen kompletten Neustart. Er wollte raus aus England und ein guter Freund erzählte ihm von diesem „magischen Dorf“ in Deutschland. Okwonga war begeistert und zog gleich nach Berlin. Er ist bis heute geblieben.

Seit 2015 lebt Okwonga in derselben Friedrichshainer Wohnung, aus der er sich an einem Donnerstagnachmittag Ende Januar mit der Berliner Zeitung zum Zoom-Gespräch trifft. Er trägt einen roten Adidas-Trainingsanzug und ist bestens gelaunt. Warum auch nicht? 2021 ist ein vielversprechendes Jahr für ihn, vor allem literarisch. Nach „In The End, It Was All About Love“ folgt im April „One Of Them“, ein Sachbuch über seine Zeit als Zögling des renommierten Eton College. Später im Jahr erscheint auch noch „Striking Out“, ein Kinderbuch, das er gemeinsam mit dem ehemaligen englischen Fußballstar Ian Wright geschrieben hat. Und seine Fußball-Podcasts „Stadio“ und „Wrighty’s House“ haben weltweit Hunderte von Zuhörern.

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Doch jetzt geht es erst einmal um „In The End, It Was All About Love“. In drei Teilen – „Righteous Migrants“, „Black Gravity“ und „Your Passport“ – gewinnt der Leser durch das Buch unmittelbare Einblicke in Okwongas Alltag in der Großstadt. Es ist ein recht kurzes Buch. „Heutzutage gibt es so viele Ablenkungen – Instagram, WhatsApp und ähnliche Apps. Also wollte ich etwas schreiben, das kurz und einfach zu lesen ist“, sagt Okwonga. „Das Buch hat nur 30.000 Wörter und jeder Abschnitt ist ungefähr 400 Wörter lang. Dieses Buch kann man also in der S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit lesen. Man kann auch nur einzelne Passagen lesen und abfotografieren, um sie dann auf Social Media zu posten. Was auch immer einen anspricht. Meine ganze Lebensphilosophie basiert auf Einfachheit.“ Dadurch, dass er im Präsens schreibt und man durch die direkte Ansprache quasi zum Protagonisten wird („You want to…“, „You have…“), sieht man alles durch die Augen des ugandischen Erzählers, einem Alter-Ego des Autors. Man lässt sich auf die Reise ein. „Wie in einem Computerspiel“, fügt Okwonga hinzu.

Formal sind die verschiedenen Buchabschnitte eine Mischung aus Anekdoten und Tipps. In „How to Handle Impostor Syndrome“ empfiehlt Okwonga, dass man sich mehr wertschätzen, in „How to Eat Cake in Berlin“, dass man sich zwischendurch mal was gönnen sollte. In „Treat Your Loneliness as a Guest“ schreibt Okwonga über Einsamkeit. Und immer wieder erinnert er sich daran, dass er nicht hässlich ist. Warum ist ihm so was wichtig? „Es gibt so viele Strukturen, die nur darauf aus sind, dass du dich unattraktiv findest. Vor allem als Schwarzer Mann wird dir in dieser Gesellschaft beigebracht, dich selbst zu verachten. Deine Hauptfarbe passt nicht. Dein Essen, deine Sprache, dein Akzent, für all das wirst du gehasst. Du wirst nicht als romantische Option wahrgenommen. So was internalisieren wir, ob wir wollen oder nicht. Deshalb ist es mir wichtig, immer zu sagen: Du bist nicht hässlich. Du bist etwas wert.“

Und was hat das mit farbiger Kleidung zu tun? „Als Schwarzer Mann mache ich ständig Erfahrungen mit Rassismus. Das ist doch klar. In Bratislava wurde ich von Skinheads auf offener Straße verprügelt. In England wurde ich von der Polizei an einem Geldautomaten durchsucht – ich war Student!“ Auch in Berlin mache er immer wieder solche Erfahrungen. „Und das erste Mal, als so was passiert ist, habe ich schwarze Kleidung getragen. Seit diesem Tag habe ich es zu meiner Mission gemacht, hellere Farben zu tragen. Ich werde mich nicht mehr verstecken. Diese Menschen möchten, dass wir uns schämen, also zelebriere ich mich und meine Hautfarbe umso mehr.“

Hier stellt Okwonga kurz klar, dass er nicht als Rassismus-Experte gelten möchte, nur weil er eine bestimmte Hautfarbe hat. „Auch aus diesem Grund habe ich England verlassen: Ich wollte dieses Image nicht. Ich möchte der Fußball-Typ sein, nicht der Rassismus-Typ. Bei den ‚Black Lives Matter‘-Protesten letzten Sommer wurde ich immer wieder von Journalisten gefragt, wie ich mich fühle. Und ich habe mich wiederum gefragt, warum man diese Frage nicht weißen Menschen stellt.“ Umso erfreulicher findet er es, wenn einflussreiche weiße Prominente Stellung beziehen: „Wenn sich ein Leon Goretzka vom FC Bayern oder ein Marco Rose von Mönchengladbach klar gegen Rechts positionieren, klar gegen den Rassismus, dann ist das super. Beim jüngsten Talkshow-Skandal des WDR, wo fünf weiße Menschen über Rassismus diskutiert haben, war die Gegenreaktion sehr schnell, sehr laut. Auch das ist Deutschland. Ich hoffe, dass sich dieses Deutschland gegen das von Hate Speech, Rassismus und Rechtsextremismus durchsetzt.“

„In The End, It Was All About Love“ ist ein sehr persönliches Buch geworden, was vor allem mit Okwongas Familiengeschichte zu tun hat. Sie formt den Kern der Erzählung. Denn all die Begebenheiten und Erfahrungen, über die er schreibt, seien es seine Geldsorgen, seine Schwierigkeit, wahre Liebe zu finden, oder sein niedriges Selbstwertgefühl, all das führt uns auf sein Kindheitstrauma zurück: Okwongas Eltern, beide Ärzte, sind vor Idi Amins Regime nach England geflohen.

Doch Anfang der 1980er kehrte sein Vater nach Uganda zurück, um seine medizinischen Dienste anzubieten. „Er war Teil des Widerstands und arbeitete als Chirurg. Und er kam bei einem Helikopter-Absturz ums Leben, da war ich vier Jahre alt. Wir sind damals nach Uganda gefahren, um ihn zu begraben. Das ist tatsächlich meine erste Erinnerung an meinen Vater: Wie wir ihn neben einem Baum begraben.“ Sein Vater war 40 Jahre alt, als er bei dem Absturz ums Leben kam. Und Musa Okwonga ging selbst auf die 40 zu, als er „In The End, It Was All About Love“ schrieb. Er beschreibt es als Blockade in seinem Kopf, immer wieder die Frage: Würde er dieses Jahr noch überleben oder mit 40 plötzlich tot umfallen?

Musa Okwonga unternahm zwei Dinge dagegen: Zum einen suchte er sich einen Therapeuten. „Es ist gesund, über seine Gefühle zu sprechen“, sagt er. Er schäme sich nicht für seine Verletzlichkeit, für seine Tränen. „Keine Emotionen und keine Empathie zu zeigen, das bringt nichts. Wir Männer müssen anfangen, zuzugeben, dass wir auch mal Angst haben. Wenn wir uns öffnen, dann zeigt das wahre Stärke.“ Zum anderen ging er nach Uganda, um seine lang unterdrückten Gefühle zu konfrontieren. Er suchte den Baum auf, an dem er mit vier Jahren stand – inzwischen war der groß gewachsen. Und plötzlich befreite sich etwas tief in seinem Inneren, so beschreibt es Okwonga: „Es war so, als ob sich ein Kapitel schließt. Ich habe alles verarbeiten können. Das war ein unbeschreibliches Gefühl. Ich war endlich frei. Heute bin ich frei.“

Und er ist frei in Berlin, für ihn ein Ort, wo man „Lärm und Chaos erwartet, nur um vom Vogelgezwitscher verzaubert zu werden“. So heißt es zumindest in seinem Buch. Was genau bedeutet die Stadt aktuell für ihn? „Berlin hat mir so viel gegeben: Ich habe hier fünf oder sechs Bücher geschrieben. Und 24 Lieder“, erzählt er. „Immer wenn ich nach einer Auslandsreise hierher zurückkehre, macht mein Herz einen Sprung. Dieser Moment, wenn ich mit dem Bus vom Flughafen Tegel die Beusselstraße runterfuhr, das war wirklich magisch – ein Gefühl, dass ich endlich zu Hause bin. Sobald ich das nicht mehr verspüre, weiß ich, dass es Zeit ist zu gehen.“ Macht er sich tatsächlich schon Sorgen, dass das passieren könnte? „Meine Beziehung zu Berlin ist wie eine Liebesbeziehung. Natürlich hat man Angst, dass es irgendwann vorbei ist. Aber bis dahin genieße ich jeden Moment.“ Am Ende des Tages dreht sich eben doch alles um die Liebe.

Musa Okwonga: In The End, It Was All About Love (nur auf Englisch). Rough Trade Books, 2021. 136 Seiten, um 14 Euro.

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Author: Nicole Benjamin

Last Updated: 1702995362

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Name: Nicole Benjamin

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