Aus der Abteilung: Da bin ich aber mal überrascht…
Story: D’Leh ist ein junger Krieger des Stamms der Yagahl, die ein hartes Leben in der eisigen Tundra fristen. Irgendwann gehen ihnen die Mammuts aus, dann gibt es noch eine Prophezeiung von einem blauäugigen Kind, und berittene Fremde plündern die paar Hütten, und entführen ein paar Yagahl als Sklaven. D’Leh macht sich mit seinen Kumpeln an die Rettung, hauptsächlich, weil unter den Entführten auch die blauäugige Evolet ist, für die sein Herz schlägt. Auf dem Weg nach Ägypten (nie so genannt, aber wir können das anhand von Nil und Pyramiden einfach mal unterstellen) vereinigt er eine Handvoll Negerstämme, um sich dem bösen (und möglicherweise außerirdischen) Herrscher zu widersetzen, der die Menschen für den Bau seiner Prachtpyramiden knechten lässt. Es kommt zum fetten Aufstand.
Dann ist da noch was mit einem weißen Speer, einem verschollenen Vater, und ein paar Höhlenzeichnungen, aber irgendwie ging das an mir vorbei.
Kritik: Ich war nie ein großer Fan von Roland Emmerich, respektiere aber, dass die meisten seiner Filme eine große handwerkliche Leistung darstellen – er kann nicht nur gut mit Spezialeffekten, sondern versteht es auch, eine Ensemble-Besetzung ordentlich zu führen, ohne die Figuren hoffnungslos aus dem Blick zu verlieren. “Independence Day”, “Stargate”, “Day after tomorrow”, zeitweise sogar “Godzilla” – schnörkelloses Großkino für anspruchslose Popcornfresser. Nie so auf den Punkt wie Steven Spielberg, aber auch nie so rotzschlecht wie Michael Bay. Prima Silberscheiben, um Bild und Ton beim Heimkino zu testen, und mal nachzuschauen, was die aktuelle Effekttechnik so zu leisten imstande ist.
Kurzum: Bei Emmerich weiß man, was einen erwartet – und was man nicht erwarten sollte.
Dachte ich.
Vielleicht hätte mich die Tatsache abschrecken sollen, dass Emmerich in den meisten Interviews dieser Tage kaum auf den Film eingeht. Oder dass er schon vor US-Kinostart fast nur noch über sein nächstes Projekt “2012” redet (ein absolutes no no, wenn man auf Promotour ist). Oder dass das Gerücht geht, er selbst habe darum gebeten, “10.000 BC” vom Sommer 2007 ins Frühjahr 2008 zu verlegen, um ihn aus der Transformers/ Spiderman 3/ Shrek 3/ Pirates of the Caribbean 3-Schußlinie zu nehmen. Oder dass sich die deutsche Webseite immer noch nicht die Mühe gemacht hat, die Hintergrund-Texte zu übersetzen.
“10.000 BC” ist ein so kapitales und vollständiges Desaster, dass man nicht glauben möchte, dass Emmerich da seine Hände im Spiel hatte. Selbst die Sachen, die er sonst im Schlaf absolviert, sehen so aus, als… na ja, als hätte er sie tatsächlich im Schlaf absolviert.
Die Story ist banal, und massiv von “13th Warrior” geklaut: Eine Horde von “Dämonen” überfällt einen Stamm, um Sklaven zu nehmen. Unser Held will hinterher, um seine Freundin zu retten. Am Schluss findet er ein größeres Ziel (die Befreiung der versklavten Völker), sein Konkurrent opfert sich im Finale heroisch, und alle Stämme scharen sich hinter ihm. Das alles geschieht ohne jegliche Schnörkel, ohne jegliche Überraschung, ohne jeglichen Twist – und vor allem: ohne Humor. Emmerich nimmt diesen Schund ernst. Die einzelnen Stationen der Geschichte werden nicht erzählt, sondern abgehakt. Und alle fünfzehn Minuten baut Emmerich mechanisch eine Creature- Attacke ein, um den Zuschauer wachzuhalten (Mammut, Riesen-Ostrichdino, Säbelzahntiger). Und die ewig wiederkehrenden Aufnahmen des Hauptdarstellers, wie er mit nacktem Oberkörper in Zeitlupe auf die Kamera zurennt, habe ich irgendwann aufgehört zu zählen. Das war vor 20 Jahren vielleicht mal effektiv, ist mittlerweile aber ein peinlicher Running Gag, und gehört in die Mottenkiste Hollywoods gleich neben dem Zeitlupen-Shot der aufmarschierenden Heldentruppe à la “Armageddon”.
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Was eine Stunde lang nach einem Steinzeit-Drama von TV-Film-Kaliber aussieht, dreht in der zweiten Hälfte schlagartig in Fantasy-Territorium ab, wenn Emmerich es sich nicht verkneifen kann, den Bau der großen Pyramiden auf eine Art zu zeigen, bei der Däniken sich vor Begeisterung ins Höschen machen würde. Hier wird zwar endlich mal ein bisschen von dem Budget verpulvert, welches nach unbestätigten Angaben irgendwo zwischen 80 und 130 Millionen Dollar gelegen haben soll – aber leider wird der Film auch so albern, dass man als Zuschauer nur noch abwinkt. Den Sprung von “Am Anfang war das Feuer” zu “Stargate” überlebt die Glaubwürdigkeit von “10.000 BC” leider nicht.
Bitter schmecken die in das Skript eingeschummelten rassistischen Details: D’Leh (übrigens “Held” rückwärts) ist der Einzige in seinem Stamm, der deutlich kaukasische Gesichtszüge aufweist, und deshalb natürlich die Liebe der blauäugigen (!) Evolet verdient. Der Rest der Yagahl hat eher mongolische Züge. Und natürlich lassen sich die Negerstämme begeistert von D’Leh vereinen, und akzeptieren ihn widerspruchslos als Anführer. Da ist es auch schon kein Wunder mehr, dass die Nomaden keine Ahnung haben, wie man die eigene Wüste durchquert, und erst von D’Leh die Grundbegrife der Navigation per Sternenhimmel erklärt bekommen müssen. Der Neger als solcher braucht halt eine starke Hand, gelle?
Man könnte sich auch darüber aufregen, dass Emmerich wirklich gar keinen Versuch unternimmt, historische Plausibilität wenigstens vorzutäuschen: hier bauen Mammuts die Pyramiden mit, Höhlenmenschen sprechen englisch, Schifffahrt und Waffenkunst aus geschätzten 40.000 Jahren werden in einen Topf geworfen, und die Reise von den eisigen Steppen nach Ägypten scheint gefühlte zwei Wochen zu dauern. Das wäre eigentlich komplett unwichtig, weil Emmerich sich auch nie zuvor um wissenschaftliche Akkuratesse geschert hat. Das Problem an “10.000 BC” ist jedoch, dass selbst Vorschulkindern der gesammelte Unsinn auffallen dürfte.
Zu der inhaltlichen Banalität und Unausgewogenheit kommt eine für Emmerich extrem untypische Unsicherheit in der Umsetzung der Spezialeffekte: Die Mammuts lasse ich noch durchgehen, aber spätestens bei dem Säbelzahntiger war ich raus. Der ist genau so albern unrealistisch wie die Löwen im Opening von “I am Legend”, und es sollte endlich mal ein Moratorium rausgehen, dass agile Felltiere noch ein paar Jahre brauchen, bis sie glaubwürdig von der Festplatte kommen.
Auch sonst ist “10.000 BC” nicht das visuelle Fest, das man erwarten dürfte: Die Kameraarbeit ist bestenfalls Hausmannskost, großartige Landschaftsaufnahmen sucht man vergeblich. Erschreckend viele Dialogszenen sind deutlich sichtbar vor Bluescreen aufgenommen worden, und bei Nachtaufnahmen wird das Bild derart körnig, dass man meint, die Effektleute hätten eine Handvoll blau leuchtendem Sand auf das Objektiv der Kamera gepustet. Ich habe TV-Filme gesehen, die mit mehr Sorgfalt inszeniert wurden.
Der letzte Nagel im Sarg ist die elende Geschwätzigkeit des Films. In der Vergangenheit waren die meisten Urzeit-Streifen clever genug, die Kommunikation der Figuren auf das Minimum zu beschränken, und sich teilweise mit Gesten und Geräuschen zu behelfen. Nicht so Emmerich: Hier quasseln die Tundra-Wanderer in einer Tour mit einem unerträglichen Pathos. Immer und immer wieder werden die fadesten Offensichtlichkeiten ausformuliert, und als wäre das noch nicht genug, salbadert auch noch Armin Müller Stahl als Erzähler den Tontrack voll. Der Audio-Overkill tötet jeden Ansatz von Grandezza, den “10.000 BC” so offensichtlich gerne hätte. Im Ergebnis wirkt der Film wie die aus Versehen verfilmte erste Rohfassung eines TV-Skripts, auf das ein Studio einen zweistelligen Millionenbetrag gepupst hat.
“10.000 BC” ist nicht schlecht, weil er ein Emmerich-Film ist. Das hatte ich durchaus erwartet. “10.000 BC” ist sogar für einen Emmerich-Film schlecht. Und das ist die Überraschung, von der ich eingangs gesprochen habe.
P.S.: Ich habe die Darsteller nicht erwähnt. Aus gutem Grund.
Author: Leah Jones
Last Updated: 1703401561
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